segunda-feira, 8 de setembro de 2008

Kant — ein Metaphysiker ? HANS VAIHINGER





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1. Es sind in der letzten Zeit mehrere Versuche gemacht worden,
gegen den Kritiker Kant den Metaphysiker Kant auszuspielen, und
damit der negativen Kritik der reinen Vernunft durch Kant — eine
wirkliche und positive Metaphysik der Vernunft von ebendemselhen
als Ergänzung, ja als Gegensatz gegenüberzustellen. Solche Ver-
suche sind schon früher, schon im vorigen Jahrhundert unternommen
worden; ja schon Reinhold's „Briefe über die Kantische Philoso-
phie" nehmen im Grunde diesen Standpunkt ein. Die FßlEs'sche
Schule, bis auf J. B. Meyer, hatte diese Tendenz. In einem anderen
Sinne haben die Freunde der SwEDENBORG'schen Theosophie Kant's
„Metaphysik" für sich in Anspruch genommen. Seitdem man vollends
auf Kant's „Vorlesungen über Metaphysik" aufmerksam geworden
ist, hat sich diese Neigung allmälig gesteigert, um nun mit einem
Male als kräftiger Strom — und zugleich als Gegenstrom gegen die
bisher herrschende Auffassung Kants in Paulsens neuem Kantbuch
an den Tag zu treten. Mit jenem schriftstellerischen Geschick, das
alle Werke Paulsens auszeichnet, hat er diese Position einge-
nommen und energisch vertreten. Und so ist die Sache zu einer
philosophischen Tagesfrage geworden. Schon oft ist in jüngster Zeit
die Frage an mich gerichtet worden , ob denn diese Darstellung
Paulsen's richtig sei? Ich mochte sie hier beantworten. Freilich —
der kna])pe Raum, der einem Beitrag zu dieser Festschrift nothwen-
digerweisc gesetzt ist, reicht nicht hin, um diese wichtige und weit-
tragende Frage auch nur halbwegs erschöpfend zu beantworten, wohl
aber reicht derselbe dazu hin, um einige Gesichtspunkte, welche für
die Beantwortung der Frage von AVichtigkeit sind, hervorzuhel)en.

2. Hören Avir zunächst Paulsen selbst. Dabei wird es zweck-
mässig sein, aus seiner allgemeinen Darstellung Kants das Nötigste
voranzuschicken. Paulsen stellt S. 381 ff. als „die grossen Grund-
gedanken'- Kants, denen er „dauernden Wertli" vindicirt, folgende
zusammen: 1) „Die Philosophie Kants hat das AVesen des AV^issens
und des Glaubens richtig erfasst". 2) „Kant gibt dem Willen die



136 H. Vaihinger:

ihm zukommende Stellung in der Welt". 3) „Kant gibt dem Geist
die richtige Bestimmung seines Wesens und die ihm zukommende
Stellung in der Welt". Der letztere Punkt kommt für uns hier
in Betracht. Paulsen erläutert ihn des Weiteren : „Kant hat
die schöpferische Kraft des Geistes zu Ehren gebracht: das Wesen
des Geistes ist Freiheit , lebendige Thätigkeit .... auf allen
Gebieten hat Kant die Aktivität und S^jontaneität des Geistes
aufgezeigt . . .". Man kann dem durchaus zustimmen, aber nicht
ohne einen wichtigen Zusatz : Gewiss, was Kant überall und immer
behauptet, das ist d i e M a c h t d e s G e i s t e s , a b e r d o c h n u r
innerhalb der i h m g e s t e c k t e n S c h r a n k e n. Dieser Zu-
satz erst gibt den ganzen Kant. Was unterschiede ihn sonst von
Leibniz oder von Hegel? Worin läge sonst die Verwandtschaft
mit Locke und Hume ? In dem so corrigirten Princip erblicke ich
die einfachste, einheitliche Formel für Kants Leben und Lehre, für
seine Erkenntnisstheorie und seine Ethik. Dies ist das Leitmotiv
seiner ganzen Philosophie : die gewaltige Macht des Geistes zu lehren,
des intellectuellen und des moralischen Geistes, aber innerhalb der
ihm einmal gesetzten Grenze n. In Allem, was Kant sagt, finde
ich immer wieder denselben Grundton: eine mächtige Ueberzeugung
von der ursprünglichen Kraft des theoretischen und des praktischen
Geistes in dem Menschen, aber begleitet von einer ebenso kräftigen
Ueberzeugung von den engen Grenzen, innerhalb deren der Geist
diese seine Macht ausüben kann.

Derselbe Satz enthält, wie eine mathematische Formel, zugleich
auch die ganze Kantische Entwicklungsgeschichte in sich. Denn die
drei Perioden derselben, welche auch Paulsen (S. 75) in Ueber-
einstimmung mit den meisten bisherigen Darstellungen unterscheidet,
ergeben sich aus derselben gewissermassen more geometrico; es sind
dies 1) die dogmatisch-rationalistische, 2) die sceptisch-empiristische,
3) die kritisch-rationalistische. In der ersten Periode glaubt Kant
mit dem Dogmatismus an eine fast unbeschränkte Macht des Geistes,
in der zweiten Periode werden von ihm die Grenzen dieser Macht,
in Uebereinstimmung mit dem Empirismus, mit derselben, nur ent-
gegengesetzt gerichteten Einseitigkeit übertrieben und erst in der
dritten Periode findet Kant das Eigenthümliche seines Kriticismus :
die Ueberzeugung von der Macht des Geistes innerhalb der ihm ge-
steckten Schranken.

AVenn Paulsen dazu S. 76 die Bemerkung macht, die Wand-
lungen in Kants Denken, die „ümkii)i)ungen", von denen dieser selbst



Kant — ein Metapliysiker? 137

redet, gehen mehr auf die Form, als auf den Inhalt und betreffen
mehr die Methode der Metaphysik, resp. die Erkenntnisstheorie, als
die Weltanschauung selbst, die Continuität in Kants Entwicklung
sei also mehr als bisher zu beachten — was übrigens auch schon
HöFPDiNG verlangt hat — , so kann auch diese Forderung an der
Hand der oben aufgestellten Formel erfüllt werden: Kant hat in
der ersten Periode mehr die Macht des Geistes betont, als seine
Schranken; in der zweiten mehr die Schranken als die Macht; in
keiner der beiden Perioden hat er nur das Eine ohne das Andere
hervorgehoben ; aber er fand das richtige Gleichgewicht der beiden
Seiten erst in der dritten: der kriticistischen Periode.

Eben darum darf man aber auch nicht nur die Eine Seite
herausgreifen, wie das Paulsen an der oben mitgeteilten Stelle thut:
gewiss hat Kant dem Sensualismus gegenüber, der den Geist nur
als „passives Gefäss" fasste, für den Geist spontane Activität vin-
diciert; oder vielmehr revindiciert : denn Kant setzt hier nur fort,
Avas Leibniz, am besten in seinen Nouveaux Essais, schon behauptete.
Aber die Erweckung aus dem „dogmatischen Schlummer" durch
HUME zeigt sich doch schliesslich darin, dass Kant die Grenzen
dieser Kraft haarscharf zu bestimmen suchte. Paulsen rückt den
Kritiker Kant viel zu nahe an den Dogmatiker Leibniz heran ; weder
Leibniz noch Kant würden damit einverstanden sein: Der Eine
würde mehr nach rechts, der andere mehr nach links wegrücken.

3. Dasselbe gilt nun auch von der Darstellung, welche Paulsen von
Kants Verhältniss zur Metaphysik gibt, sie ist das specitisch Neue,
das Charakteristische an dem PAULSEN'schen Kantbuch; sie eben
ist der Gegenstand der Controverse. Nach Paulsen ist Kants Ten-
denz — auch in der kriticistischen Periode — auf eine positive
Neubegründung der Metaphysik gerichtet gewesen: „Kant will auf-
bauen, nicht einreissen ; oder einreissen doch nur, um für den noth-
wendigen Neul)au Platz zu gewinnen. AVas er aufbauen will, ist
zweierlei: 1) eine positive Erkenntnisstheorie, nämlich eine rationa-
listische Theorie der Wissenschaften; 2) eine positive Metaphysik,
nändich eine ideahstische Weltanschauung" (S. 118). Aber anderen
Stellen Paulsens nach ist Kants allerletzte Tendenz einzig und
allein auf die idealistische Metaphysik gerichtet: „Kant sagt einmal
scherzend [in den „Träumen eines Geistersehers" u. s. w. 1766], er
habe das Schicksal in die Metaphysik verliebt zu sein, obwohl er
sich von ilir nur selten einiger Gunstbezeugungen rühmen könne.
Es ist doch mehr als blosser Sclierz, auch ist er der alten Liebe



138 H. Yaihinger:

trotz der Veriiunftkritik, immer treu geblieben .... "Wenn Kant
in der Kritik bin und wieder das Anseben des Agnostikers annimmt,
so tritt uns überall, wo er sieb unmittelbarer mit seinem persön-
licben Denken gibt, wie in den Vorlesungen und den Aufzeicbnungen
dafür, der ecbte Platoniker entgegen; und wer auf diesen nicbt
acbtet, der wird aucb den Kritiker nicbt versteben. Der transcen-
dentale Idealismus scbliesst den objectiven metaj^bysiscben Idealis-
mus nicbt aus Kants Anscbauung von der Natur des ,wirk-

licli AVirklicben' ist im Grunde zu allen Zeiten unverändert ge-
blieben : Die AVirklicbkeit an sieb ein System seiender, durcb teleo-
logiscbe Beziebungen zur Einbeit verknüpfter , Gedankenwesen', die
von dem göttlicben Intellect anscbaulicb gedacbt und eben dadurcb
als wirklieb gesetzt werden .... In der Kr. d. r. V. stebt die ne-
gative Seite, die Bekämpfung einer falscben Begründung im Vorder-
grund, bier erreicbt das Kantiscbe Denken die grösste Entfernung
von seinem Centrum; in den folgenden Scbriften . . . tritt die ,intel-
ligiljle AVeit' ... als der beberrscbende Mittelpunkt wieder aufs be-
stimmteste bervor" (A^orr. VII, VIII). Mit gesperrtem Druck ver-
kündet Paulsen S. 279 : „Das Ziel aller Bemülmngen Kants i s t
die Begründung einer wissenscbaftlicb baltbaren
M e t a p b y s i k na cb neuer M e t b o d e". Daber bat Paulsen,
entgegen allen bisberigen Darstellungen der Kantiscben Pbilo-
sopbie, seiner neuen Darstellung einen eigenen ausfübrlicben Ab-
scbnitt eingefügt (S. 237—282): Die Metapbysik Kants.
Er wiederbolt bier, besonders S. 241—244 und S. 271—274,
sowie 279 — 281 die obigen Aufstellungen; am prägnantesten in
folgender Stelle: „Nacb allem: Kant bat eine wirkliebe trans-
scendente Metapbysik. Er bält an ibr als der vernunftgemässen
AVeltanscbauung durcbaus fest ; sie ist nur nicbt , wie die Scbul-
metapbysik wollte, als a priori demonstrirbare Verstandeserkennt-
niss möglieb . . . die Vernunft . . . fübrt notbwendig über die Er-
scbeinungswelt zu einer Intellectualwelt binaus, einer AVeit seiender
Ideen, die durcb logiscb-teleologiscbe Beziebungen verknüpft und
dem göttlicben Intellect anscbaulicb gegenwärtig sind . . . Alan siebt,
das ist die PLATONisCH-LEißNiz'scbe Pbilosopbie". In diesem Sinne
beisst der Oolunmentitel von S. 239: „Kant ein Metapbysiker".

4. Kant — ein Aletapbysiker ? Kant, der „Alleszermalmer",
der A^'ernicbter der LEiBNiz'scben und aller dogmatiscben Äletapbysik,
selbst ein Verfecbter derselben? Kant also, der Kritiker der reinen
Vernunft und aller von der reinen A'^ernunft ausgedacbten metapby-



Kant — ein Metaphysiker? 139

sisclien ^) Spekulationen — sell)st doch aucli ein solcher Metaphy-
siker? Wohl hat man das auch schon früher gelegentlich gesagt,
aber doch noch niemand mit solcher Schärfe und Bestimmtheit, wie
es nun Paulsen thut: er stellt den Satz offen und nackt hin: für
Kant ist „die Wirklichkeit, wie der Verstand im Unterschied von
der Sinnlichkeit sie denkt, ein System von Monaden, die durch prä-
stabilirte Harmonie , durch influxus idealis . . . zur Einheit verknüjjft
sind; der letzte Grund der Einheit der Dinge ist ihre wurzelhafte
Einheit in Gottes Wesen .... alle diese Gedanken hat Kant nie
weggeworfen" (273). Dass Kants Dinge an sich sehr nahe Ver-
wandtschaft zeigen mit den LEiBNiz'schen Monaden, hat meines
Wissens zuerst Benno Erdmann ausgesprochen — zuerst in unserer
Zeit, denn im vorigen Jalirhundert merkte man das auch schon.
Dies vermindert nicht B.Erdmann's Verdienst, dies aufs Neue heraus-
gefunden zu hal)en. Ein Schüler B. Erdmann's, Otto Riedel, hat
eine vortreffliche Dissertation über das Thema geschrieben: „Die
monadologischen Bestiinmungen in Kants Lehre vom Ding an sich"
(Hamburg und Leipzig, L. Voss 1884. Vgl. meine Besprechung in
der Viertj. f. wissenschaftl. Philosophie IX, 128 f.).

Ich meinerseits hatte auf anderen Wegen eben dieselbe Er-
kenntniss gewonnen und sie in meiner Abhandlung „Zu Kants Wider-
legung des Idealismus" („Strassb. Abhandl. z. Philos." zum 70. Ge-
burtstage Ed. Zellers 1884) zum Ausdruck gebracht. Aber zwischen
diesen drei Darstellungen und der PAULSEN'schen Auffassung ist
ein sehr wesentlicher Unterschied. AVir sprachen von dem „monado-
logischen Hintergrund" des Kantischen- Kriticismus , wir fanden in
diesem üljerall Reste und Si)uren der monadologischen Anschauungen,
in denen Kant aufgewachsen war, Reste, welche Kant nicht ab-
streifen, Spuren, die er nicht verwischen konnte oder wollte. Aber
das, was unserer Auffassung nach den versteckten Hintergrund
des Ki-iticismus ausmacht, das System der Monaden nebst ihrem
Zusammenhalt in Gott — das ist nun nach Paulsen's Auflassung
in den Vordergrund zu stellen: es sei Kants Absic^ht gewesen,
diese idealistische Metaphysik auf seine Weise neu zu begründen,
und dariuu eben müsse auch diese ^Metaphysik Kants viel stärker
als bisher betont werden.



*) Natürlich handelt es sich nur um die Metaphysik im transoendenteu
Sinn. Von den dabei mitspielenden terminologischen l'nklarheiten bei Kant
(vgl. meinen Commentar I, 83, 88 tf., 149, 232, 311, 373 ff. 464 u. ö.) können
wir hier der Einfachheit hallier absehen.



140 H. Vaihinger :

Es geht aus dem Gesagten hervor, dass die Frage, ob Paulsen
mit Recht oder Unrecht Kant als Metaphysiker darstelle , nicht
einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. ]\Iit einem
einfachen Ja oder Nein ist ja dem Laien gewöhnlich am besten
gedient; aber wer in den Sachen zu Hause ist, weiss, dass wir uns
nicht immer mit dem einfachen Ja, ja oder Nein, nein begnügen
können : die Dinge thun uns nicht immer den Gefallen, so einfach
zu liegen. Also die fraghche Darstellung Paulsen's ist insofern
richtig, als Kant immer, auch während der ganzen Periode seines
Kriticismus, daran festgehalten hat: wir müssen uns die absolute
Wirklichkeit wie ein System geistiger Wesen denken, welche eine
geistige Einheit in Gott bilden; viele Stellen, von denen Paulsen
so ziemlich die wichtigsten angeführt hat, legen dafür Zeugniss ab.
Aber seine Darstellung ist andererseits doch nicht richtig, weil
er dasjenige, was Kant unter tausend Yerclausulirungen versteckt,
nun seinerseits ofien und nackt hinstellt. Paulsen stellt dasjenige,
was Kant nur durch einen Schleier hindurchschimmern lässt, ohne
diesen kritischen Schleier in das hellste Tageslicht. Der Schleier,
den Kant so vor dieser iutelligiblen Welt vorzieht, ist ein nothwen-
diger Bestandtheil seines kritischen Systems. Paulsex zieht den
Schleier einfach weg: in demselben Augenblick ist aber auch der
eigentliche Kriticismus Kants nicht mehr ganz da. Dass Kant jene
intelligible Welt so discret durch den Schleier zugleich verhüllt und
durch denselljen verhüllenden Schleier eben wieder hindurchschim-
mern lässt, darin eben ist das Charakteristische seines Kriticismus
zu suchen. Gewiss, wenn wir diesen Schleier von der Kantischen
Erkenntnisskritik wegziehen, so kommt Leibxizen's Monadologie zimi
Vorschein. Aber wenn wir jenen Schleier wegziehen, so haben wir
eben auch Kants eigentliche Philosoj^hie nicht mehr. Dieser die
wahre Wirklichkeit verhüllende und doch in unbestimmten Umrissen
hindurchschimmernlassende Schleier ist ein nothwendiger Bestand-
theil der Kantischen Philosophie. Paulsen hat ihn weggezogen, in
der guten Meinung, uns dadurch erst den „eigentlichen" Kant zu
zeigen. Aber er nimmt Kant damit eben sein Eigenthümlichstes, die
kritische Vorsicht und Discretion, mit der er sich über die Art,
wie das wirklich Wirkliche zu „denken" sei, äussert.

5. Allerdings — Paulsen hat es nicht versäumt, auf den Un-
terschied hinzuweisen, der zwischen der alten dogmatischen Meta-
l^hysik und Kants kritischer Metaphysik obwaltet. Schon die oben
S. 138 mitgetheilte Stelle aus der Vorrede enthält die Bemerkung,



Kant — ein Metapliysiker ? 141

dass Kant „die falsche Begründimg" der alten Dogmatiker bekämpft
habe; auf S. 238 heisst es: „die Gedanken der alten Metaphysik
hatten für ihn Ideibende Wichtigkeit und Wahrheit, Avenn auch
Wahrheit in anderem Sinne als die Wahrheiten der Physik. Man
kann vielleicht sagen, dass Kant von allen Grundanschauungen zur
Theologie, Psychologie und Physik, wie sie in den vorkritischen
Schriften vorliegen, nicht eine einzige ganz hat fallen lassen. Die
meisten finden sich, nur mit verändertem Vorzeichen, in den
kritischen Schriften wieder". Paulsen wiederholt diesen Vergleich
auf S. 273: „alle diese Gedanken [der alten ]\Ietaphysik] hat Kant
nie weggeworfen; er gibt ihnen eigentlich nur ein anderes Vor-
zeichen : nicht dem Verstände demonstrirbare Wahrheiten, wie Ma-
thematik und Physik, sondern nothwendige Ideen, welche die Ver-
nunft niemals aufhören kann und wird, aus sich hervorzubringen."
Die alte idealistische Metaphysik machte den Fehler, diese Ver-
nunftideen „den in der sinnlichen Anschauung darstellbaren Be-
grifi'en an- und einzureihen" ; Kant hat aber diese an sich berech-
tigten Gedanken „nur als vorgel)liche reine Verstandes erkenntnisse
beseitigt, um sie sogleich als nothwendige Vernunftideen zurückzu-
führen", d. h. als notwendige Ideen „der speculativen und prak-
tischen Vernunft". „Die theoretische Vernunft führt durch das ihr
innewohnende Strel)en nach dem Unl)edingten über die AVeit des
Bedingten und Relativen hinaus .... die praktische Vernunft führt
dm-ch ihr unbedingtes Gebot, Ideen in der sinnlichen Welt zu ver-
wirklichen, nothwendig zu der Annahme, dass der Natur eine ideelle

Welt zu Grunde Hegt " (281).

AVer wird sagen wollen, dass diese Darstellung falsch sei ? Sie
gibt alles AVesentliche wieder. Aber sie lässt doch, wenn auch
vielleicht nur aus pädagogischen Gründen, Lichter und Schatten weg,
welche sich im Original finden und welche dasselbe in ganz an-
derer Beleuchtung erscheinen lassen. Zunächst die „Ideen" der
theoretischen Vernunft. Gewiss sind die A^orstellungen von Gott,
Freiheit und Unsterblichkeit — so stellt sie ja Kant gerne zu-
sammen — „nothwendige Ideen der speculativen A'ernunft". In
Paulsens Darstellung wird nun ja allerdings ausdrücklich er-
wähnt, dass diese Ideen „dem subjectiven Bedürfniss der A'ernunft"
ihren Ursprung verdanken (S. 227). Aber dieser subjective Cha-
rakter der Ideen, den Kant nicht selten scharf hervorliebt, tritt
in der weiteren Ausführung bei Paulsen ganz zurück hinter ihrem
objectiven Realitätswertli. Wenn ich zimi Nachweis dessen einige



142 H. Vailiinger :

Stellen aus Kant citire, so weiss ich wohl, wie misslich es mit dem
Citiren bei Kant steht. Paulsen sagt einmal: „Kant muss doch
aus dem Ganzen a- erstanden werden; mit einzelnen Stellen kann
man ungefähr jede mögliche und unmögliche Ansicht aus ihm her-
ausbringen" (Vorrede). Xun — -Jede" gerade nicht. So steht es
doch nicht mit Kants Werken, dass man von ihnen sagen könnte :

Hie Über est, in quo siia quaerit äogmata quisque,

Invenit et pariter do(jmata quisque sua.
Aber das ist ja wahr , dass sich gerade über die entscheidenden
Punkte (sei es scheinbar oder wirklich) entgegengesetzte Aeusserungen
bei Kant finden ; und dass bei Kant sich thatsächlich viele einander
A\-idersprechende Stellen nachweisen lassen, habe ich selbst ja wohl
oft genug gezeigt. Ich habe hierüber noch weiter unten etwas zu
sagen: hier will ich nur so viel bemerken, dass, um Kant „aus dem
Ganzen zu verstehen" , man doch auch den ganzen Kant geben
muss, und dazu gehören in diesem Falle doch auch diejenigen Par-
tien, in denen die Ideen einen ganz subjectiven Charakter annehmen.
6. Ich will zum Erweis des Gesagten Kants Lehre von den
„Gedankendingen" erörtern. Es ist dies ein meines "Wissens bis
jetzt ganz vernachlässigtes Thema. Am Schluss der transcenden-
talen Analytik stellt Kant bekanntlich eine „Tafel der Eintheilung
des Begrifis von Xichts" in seinen verschiedenen Bedeutungen
auf. Er unterscheidet vier Bedeutungen ; die erste ist : „Leerer Be-
grifi ohne Gegenstand =: ens rationis = Gedanken ding." .,Das Ge-
dankending . . . darf nicht unter die Möglichkeiten gezählt werden,
weil es bloss Erdichtung (obzwar nicht widersprechende) ist." Die
Noumena werden ausdrücklich schon hier zu diesen eutia rationis
gerechnet. Man könnte nun sagen, Kant meine wohl, nur vom
Standpunkt des Verstandes seien die Xoumena entia rationis, also
bloss „erdichtete" Gedankendinge, aber vom Standpunkt der Ver-
nunft aus bekommen sie ihm ein anderes Werthvorzeichen. Sehen
wir daher, wie sich die transcendentale Dialektik zur Lehre von
den „Gedankendingen" stellt. Im I. Buch derselben, im 2. Ab-
schnitt, wird die Lehre „von den transcendentalen Ideen" entwickelt.
Gegen den Schluss des Abschnittes (A 337, B 394) macht K. eine
fundamentale Distinction. Er unterscheidet ein Gedankending (ens
rationis), „welches nur- willkürlich gedacht ist", von einem solchen,
welches „durch die Vernunft nothwendig vorausgesetzt wird". Die
„transcendentalen Ideen" gehören ausdrücklich zur zweiten Gattung
und machen sie vollständig aus.



Kant — ein Metaphysiker ? 143

Die transcendentalen Ideen sind darnach zwar notliwendige Vor-
aussetzungen der menschlichen Vernunft, aber sie bleiben doch er-
dichtete Gedankendinge. An einer etwas früheren Stelle desselben
Abschnittes (A 328 f., B 384 ff.) drückt Kant dasselbe ebenso scharf
mit anderen Worten aus: Die transcendentalen Ideen sind „Ma-
ximen", denen niemals „in concreto" etw^as Congruentes entspricht;
„die Annäherung zu einem Begriffe, der aber in der Ausübung
doch niemals erreicht wird, ist eben so viel, als ob der Begriff ganz
und gar verfehlet würde"; und „so heisst es von einem dergleichen
Begriffe: er ist nur eine Idee". „Ob wdr nun gleich von den



-o



transcendentalen Vernunftbegriffen sagen müssen : sie sind nur
Ideen, so werden wdr sie doch keineswegs für überflüssig und
nichtig anzusehen haben" : sie dienen dem Verstände zum Canon u. s. w.
Also die transcendentalen Ideen sind erdichtete, aber nothwendig er-
dichtete Begriffe und besitzen einen Ijedeutsamen AVerth für die
theoretische (und noch mehr die praktische) Vernunft — a])er sie
sind „nur" Ideen, d. h. nitia rationis , aber eben nicht willkürlich
gemachte, sondern nothwendig gedachte. (Ebenso A 327, B 384.)
Man könnte nun sagen, Kant sei im Verlaufe der transcendentalen
Dialektik doch über diese negativen Anfangsbestimmungen zu po-
sitiveren Endresultaten gelangt. Sehen wir uns zu diesem Zweck
den „Anhang zur transcendentalen Dialektik" an, auf welchen als
einen „nicht unwichtigen" Schlussabschnitt auch Paulsen (S. 223)
ausdrücklich hinw^eist mit der Bemerkung: „er könnte, unter an-
derem Gesichtspunkt, auch als das Hauptstück bezeichnet werden:
er bringt die positive Behandlung, wenn man will, die transcen-
dentale Deduction der Vernunftideen, eine beschränkte und be-
dingte, aber doch eine wirkliche Deduction". Ganz richtig; Kant
will dasell)st eine „Deduction" der Ideen geben (A 669, B 697),
eine wirkliche Deduction, al)er doch nicht ohne Weiteres eine De-
duction ihrer Wirklichkeit im Sinne der Existenz. AVir linden näm-
lich, dass Kant hier jene Eintheilung der Gedankendinge in eine
schlechte und eine gute Art mit anderen AVorten wiederholt. Es
heisst an der angegebenen Stelle: „Die Ideen der reinen Vernunft
verstatten zw'ar keine Deduction von der Art, als die Kategorien;
sollen sie aber mindestens einige, wenn auch nur unbestimmte, ol)-
jective Gültigkeit haben und nicht bloss leere Gedankendinge (oifia
rationis ratiocinantis) vorstellen, so muss durchaus eine Deduction
dersellien möglich sein" u. s. w. AVie heisst es nun aber weiter
mitten im A'erlauf dieser Deduction? Alle Vernunftideen werden



]^44 H. Vaihinger:

da auf den Generalnenner der „systematischen Einheit" gebracht
(A 680 f., B 708 f.). Diese „systematische Einheit" dient der Ver-
nunft „nicht objectiv zu einem Grundsatze, um sie über die Gegen-
stände, sondern subjectiv als Maxime, um sie über alles mögliche
emi^irische Erkenntniss der Gegenstände zu verbreiten". „Die Ver-
nunft kann aber diese systematische Einheit nicht anders denken,
als dass sie ihrer Idee zugleich einen Gegenstand gibt, der eben
durch keine Erfahrung gegeben werden kann Dieses Ver-
nunftwesen (ens rationis ratiocinatae) ist nun zwar eine blosse Idee
und wird also nicht schlechthin und an sich selbst als etwas
"Wii-kliches angenommen, sondern nur problematisch zum Grunde
gelegt . . . um alle Verknüpfung der Dinge der Sinnenwelt so an-
zusehen, als_ ob sie in diesem Vernunftwesen ihren Grund hätten ..."
„Vernunftwesen" ist hier dem Zusammenhang nach natürlich nicht
vernünftiges Wesen, sondern = von der Vernunft erdachtes Wesen,
also eben = Gedankending oder ens rationis. Die Ideen werden
also ganz unzweideutig als e}itia rationis bezeichnet, aber Kant
macht eben einen wesentlichen Unterschied zwischen einem „ens
rationis ratiocinantis'-'- und einem „e>ts rationis ratiocinatae''. Die
Distinction wird durch ein sehr zweifelhaftes Latein fixirt^), aber
sie ist unzweifelhaft sehr fein und findet ihre Erläuterung durch
eine ähnliche Unterscheidung : am Schluss der Einleitung zur trans-



^) Ob Kant Vorgänger in dieser wunderlichen Terminologie hat, ist mir
nicht bekannt. Mellin (I, 508) lässt hier, wie so oft, im Stich. Wolff und
seine Schule verwendet den Ausdruck ratiocinari durchaus im classischen Sinne
„vernunftgemäss schliessen" (vgl. Baumeistek, Philosophia definitiva, § 806,
809 u. ö.). Kant nun gebraucht das Deponens ^ratiocinari"-, speciell im Partie,
praes., [ratiocinans] im tadelnden Sinne = vernünfteln, d. h. auf logisch un-
rechtmässigem, aber scheinbar richtigem Wege erschleichen. Das Partie, perf.
gebraucht Kant passivisch — was ja an sich nicht selten bei Deponentia ist, und
speciell ratiocinari wird auch schon bei Vitkuv j)assivisch gebraucht. Dieses Partie,
perf. in passiver Bedeutung (ratiocinatus) gebraucht nun Kant in lobendem
Sinne, aber auffallender Weise in zwei verschiedenen Anwendungsweisen. E r-
stens: Wenn ihm die ratio ratiocinans die vernünftelnde Vernunft ist, d. h.
diejenige, welche Erschleichungen begeht, so kann dem gegenüber die ratio
ratiocinata nur die (durch Selbstbesinnung) zur Vernunft gebrachte Vernunft
sein, also eine Vernunft, welche nicht mehr zum blossen Vernünfteln miss-
braucht wird, sondern welche durch Selbstiarüfung erst Avahrhaft vernünftig
und mündig gemacht worden ist. — Zweitens: Eine andere Anwendungs-
weise des Passivum zeigt die Verbindung „conceptus ratiocinati" : es sind dies
die richtig erschlossenen und einen ernsten Sinn einschliessenden Begriffe ün
Gegensatz zu den conceptus ratiocinantes, welche bloss „vernünftelnde", spiele-
rische Producte sind.



Kant — ein Metaphysiker ? I45

cenclentalen Dialektik {A. 311, B. 368) scheidet Kant die Vernunft-
begriffe in zwei Gattungen : conceptus ratiocinautes, vernünftelnde Be-
griffe, welche „diu'ch einen Schein des Schliessens erschlossen" sind,
und conceptus ratiocinati, richtig geschlossene Begriffe, welche zwar
niemals „ein Glied der enii) irischen Synthesis ausmachen, aber dessen
ungeachtet objective Gültigkeit haben". In der Krit. d. Urth. § 74
wird derselbe Unterschied mit ähnlichen Worten gemacht : auf der
einen Seite steht „ein vernünftelnder und objectiv leerer Begriff"
(conccptvs ratioclnnns)'', auf der anderen Seite ein „Vernunftbegriff",
ein Erkenntniss gründender, von der Vernunft bestätigter (conceptus
ndiocmatus)''. Nach dieser Terminologie sind also die transcenden-
talen Ideen notwendige Vernunftbegriff'e (conceptus rc(tiocinati), nicht
bloss vernünftelnde Begriff"e (conceptus ratiocinantcs). Der Empiris-
mus, resp. der Skepticismus hatte jene Ideen für blosse „vernünf-
telnde Begriffe", d. h. für willkürlich erdachte Gedankendinge er-
klärt: dem Systeme de la nature sind sie phantastische, sinnlose
Einbildungen (vgl. Paulsen S. 227). Diese Auff'assung bekämpft
Kant aufs heftigste: sie sind ihm, um mit Schiller zu sprechen,
„kein leerer Wahn". Aber vertritt er darum die entgegengesetzte
Auffassung des Rationalismus resp. Dogmatismus ? Mit dieser Rich-
tung theilt Kant allerdings die Ueberzeugung, dass jene Ideen noth-
wendig gedachte Begriä"e sind, d. h. Begriffe, welche jede normale
Menschenvernunft mit innerer Nothwendigkeit denken muss, aber
diese nothwendig in uns und von uns gedachten Begriff'e haben ihm
darum doch keinen im strengen Sinn des Wortes a])solut-objectiven
Realitätswerth, sondern nur einen subjectiven Werth als Mittel zur
ideellen Abrundung des Weltbildes. Von ihnen kann man sagen,
was Goethe seinen Tasso von seinen Phantasiegestalten, welche
nicht existiren und doch existiren, sagen lässt :

Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
Ich weiss es, sie sind ewig, denn sie sind.
]Man kann den tiefsten Unterschied des Kriticismus Kants vom
Dogmatisnnis so formuliren: Kant hat, im Gegensatz zum rationa-
listischen Dogmatismus, gelebrt : was m)tliwendig gedacht werden
muss, darf darum doch noch nicht für e x i s t i r e n d ausgegeben
werden; oder: Nothwendigkeit des Gedachtwerdens schliesst nicht
Xothwendigkeit des Existirens ein. AVenn man sich etwas so oder
so „denken" muss, so ist dies kein Beweis, dass es auch realiter
so sich verhält. So weit ich sehe, ist dieser überaus wichtige Punkt
noch nicht genügend ])eachtet worden, ol)gleich er doch den Schlüssel

Sigwart-l-'estschrift. XO



146 H. Vaihinger:

zur Ideenlelire bildet-"). Denn die Ideen sind ihm eben nothwendig
von der Vernunft hervorgebrachte Begriffe, deren sich dieselbe nicht
entschlagen kann und soll, aber sie bleiben ihm doch entia rationis,
wenn auch rationis ratiocinatae d. h. Producte der durch kritische
Selbstprüfung erst recht zur Vernunft d. h. zu sich selbst gebrachten
Vernunft, aber Producte, welche ihren Charakter als entia rationis
behalten d. h, als leere Begriffe ohne Gegenstand.

Sobald man aber diesen Sachverhalt verkennt und den trans-
scendentalen Ideen objectiven Erkenntnisswerth zuschreibt, so ver-
fällt man dem ..dialectischen Schein". „Die transcendentalen Ideen
sind niemals von constitutivem Gebrauche, so dass dadurch Begriffe
gewisser Gegenstände gegeben würden, und in dem Falle dass
man sie so versteht, so sind es bloss vernünftelnde ( dialec-
tische) Begriffe" (B 672). Also durch Missbrauch sinken jene noth-
wendigen Vernunftbegriffe sogleich zur Stufe der willkürlich erdach-
ten und bloss vernünftelnden Begriffe herab, von denen sie doch
oben so scharf unterschieden wurden ; in diesem Sinne spricht Kant
auch A 339, B 397 von den durch solchen Missbrauch entstehenden,
resp. zu demselben führenden ., vernünftelnden Schlüssen'-. Eben
desshalb spricht ja Kant überall so energisch gegen den ]\Iissbrauch
der trahscendentalen Ideen, weil dieselben dadurch ihren sj^ecifi-
schen Charakter als Ideen verheren und in die schlechte Gesell-
schaft willkürlich erdachter Begriffe gerathen. Von den Ideen gilt
ganz, was Kant von den sich an sie anschliessenden „transcenden-
talen Hypothesen" sagt: man muss sie in ihrer eigenthümlichen
..Qualität erhalten"; sowie man ihnen auch nur „einige absolute
Gültigkeit zuschreibt, ist die Gefahr vorhanden, die Vernunft unter
Erdichtungen und Blendwerken zu ersäufen" (A 782, B 810).

-") Darin liegt zugleich auch die Er^viclerung auf die Ausführungen von
Paulsex in seinem Aufsatz : Kants Verhältniss zur Metaphysik (.Kantstudien"
IV, 413 — 447), welcher mir erst nach Abfassung meiner Abhandlung zuge-
gangen ist. Paulsex zeigt (bes. S. 415, 419, 423, 428 ff.) ganz richtig, dass
es Kants Meinung sei : es ist für uns unvermeidlich zu denken, dass aller
Erscheinung ein Reich der Zwecke u. s. w. zu Grunde liege. Aber darin eben
besteht Kants grosse kritische That, gezeigt zu haben, dass die Nothwendigkeit
eines Gedankens noch nicht die Nothwendisfkeit des in ihm Gedachten im
Sinne der Existenz einschliesst. Als Kant dies einsah, stand er auf der höch-
sten Spitze, auf die ihm später nur Fichte — und auch dieser nur in seinen
kühnsten Momenten — folgte. Dass Kant selbst und mit ihm die grösste Zahl
seiner Anhänger und nun auch Paulsen die Nothwendigkeit eines Gedankens
sofort wieder in Nothwendigkeit des Gedachten im Sinne der realen Existenz
verwandelt, ist ein „nothwendiges optisches Phänomen" (Paulsex a. a. 0. S. 434).



Kant — ein Metaphysiker ? 147

In diesem negativen Besultat könnte man sich durch einige
auffallende Wendungen in den von uns citirten Textworten irre
machen lassen: Kant habe doch ol)en ausdrücklich gesagt, die De-
duction der Ideen solle erweisen, dass sie „nicht bloss leere Ge-
dankendinge" seien: wie könne man also nun sagen, es sei in seinem
Sinne, sie „leere Begriffe ohne Gegenstand'' zu nennen? Man be-
achte aber el)en Avohl den Gegensatz der entia rationis ratiocinmüis
und der entia rationis ratiocinatae: jene sind „leere" Gedankendinge
in dem Sinne, dass sie „überflüssig und nichtig" sind, diese dagegen
sind Vei'nunftbegritt'e, welche nothwendig und nützlich sind, aber sie
bleiben doch Vernunftwesen = entia rationis und in diesem Sinne
sind sie eben nach der oben mitgetheilten Definition Kants „leere
Begriffe" d. h. „ohne Gegenstand". Eben so wenig darf man sich
durch die Wendung irre machen lassen, die Deduction der Ideen
habe zu zeigen, dass sie „wenn auch nur unbestimmte, objeetive
Gültigkeit" haben, oder wenn Kant in der Kr. d. Urth. § 74 im
Gegensatz dazu die vernünftelnden Begriffe „objectiv leer" nennt.
„Objectiv" ist hier nicht = absolut oder real im metaphysischen
Sinne, sondern = allgemeingültig im erkenntnisskritischen Sinne;
im letzteren Sinne sind Begriffe „objectiv", wenn sie zum Aufbau
des Weltbildes notwendig sind, aber sie bleiben darum doch im
gewöhnlichen Sinne subjectiv, wie denn ja auch Kant ausdrücklich
in der oben 'S. 144 mitgetheilten Stelle den Ideen nur den Werth
„subjectiver Maximen" zuschreibt. Man wird sich also auch nicht
täuschen lassen, wenn Kant ferner in der Stelle der Kr. d, Urth.
die Vernunftbegriffe „Erkenntniss gründend" nennt; auch „Erkennt-
niss" ist hier nicht im alten, metaphysischen Sinne, sondern im
Kantischen „erkenntnisskritischen" Sinne zunehmen: Allgemeinheit
und Nothwendigkeit der Vorstellungsweise. Einen letzten Eettungs-
anker könnte man in dem oben S. 144 mitgetheilten Ausdruck „pro-
blematisch" flnden: wenn jene Ideen „problematisch" zu Grunde
gelegt werden müssen, so sei darin ja eben doch mindestens die
Möglichkeit der Existenz ausgesprochen. Wie aber Kant den lo-
gischen Werth des „Problematischen" fasst, darüber vergleiche man
z. B. einmal die Logik, Einl. IX: „So wäre z, B. unser Fürwahr-
halten der Unsterl)lichkeit bloss problematisch, wofern wir nur so
handeln, als ol) wir unsterldich wären." Das „als ob" charakteri-
sirt aber doch eine Erdichtung oder Avenigstens etwas der Erdich-
tung sehr Verwandtes.

An einer bis jetzt zu wenig beachteten Stelle der ]\[ethodcii-

10*



148 H. Vaihinger:

lehre gibt Kant dieser Auffassung unzweideutigen Ausdruck (A 771,
B 799): „Die Vernunftbegriffe sind, wie gesagt, blosse Ideen und
haben freilich keinen Gegenstand in irgend einer Erfahrung^) ....
Sie sind bloss in-obleniatisch gedacht, iini in Beziehung auf sie (als
heuristische Fictionen) regulative Principien des systematischen Ver-
standesgebrauchs im Felde der Erfahrung zu gründen. Sieht man
davon ab, so sind es blosse Gedankendinge, deren Möglichkeit nicht
erweislich ist, und die daher auch nicht der Erklärung wirklicher
Erscheinungen durch eine Hypothese zum Grunde gelegt werden
können". So knüpft das Ende an den Anfang an: die Vernunft-
begriöe sind „blosse Gedankendinge", und wie diese am Anfang
sogleich als „blosse Erdichtungen" bestimmt wurden, so sind sie
hier zum Schluss nur „Fictionen", Dies also ist Kants bis jetzt
nicht genug beachtete Lehre von den „Gedankendingen". — Der
Vollständigkeit halber vergleiche man noch dazu die Stellen B 497,
571, 594, 701: man wird überall das Gesagte bestätigt linden.

7. Es ist mir natürlich sehr wol bekannt, dass man die Wir-
kung dieser Stellen durch anders lautende Citate paralysiren kann :
es gibt Stellen genug bei Kant, in denen er der Vernunft das Recht
vindicirt, die Möglichkeit der durch die Ideen bezeichneten
intelligibeln Gegenstände anzunehmen; und es gibt ausserdem noch
andere Stellen, in denen er noch weiter geht, und der Vernunft das
Recht nicht nur, sondern auch die Pflicht vindicirt, die Wirklich-
keit des mundus intelligibilis anzunehmen. Solche Stellen mehren
sich in den sisäteren Schriften, sie fehlen aber auch durchaus nicht
in der Kr. d. r. V. , wie auch andererseits bis in die spätesten
Schriften hinein sich jene negativen Wendungen gelegentlich wieder-
holen. ]\Ian kann nun mit Paulsen in diesen negativen Wendungen
„die grösste Entfernung des Kantischen Denkens von seinem Cen-
truni" finden (Vorr. VIII); man kann mit der Marburger Schule
in der Hypostasirung der Ideen einen Abfall von der coijernica-
nischen That Kants, von der Erkenntnisskritik, erblicken. Aber



^) Der hier ün Text bei Kant folgende Zusatz kann leicht missverstanden
werden, findet aber durch das Folgende seine unzweideutige Erklärung. Man
könnte meinen: die VernunftbegrifFe bezeichnen , gedichtete und [doch]
zugleich dabei für möglich angenommene Gegenstände" (jenseits der Er-
fahrung). Aber sie sind vielmehr „blosse Gedankendiuge, deren Möglichkeit
nicht erweislich ist": so hiess es ja auch sogleich am Anfang, bei der
Tafel der Begriffe von Nichts, das Gedankending dürfe nicht „unter die Mög-
lichkeiten gezählt werden". In diesem Sinne wii-d ja der Ausdruck „nur eine
Idee" einmal (A 644, B 672) emfach mit fociis imaginanus verdeuthcht.



Kant — ein Metaphysiker? 149

weder dürfen die Anhänger dieser schärferen Richtung diese posi-
tive Tendenz hei Kant einfach leugnen, noch dari' der Vertreter der
conciliatorischen Richtung jene l)ei Kant thatsächhch vorliandene
negative Tendenz unherücksichtigt hissen. Diese verschiedenen Ten-
denzen sind da, sie gehören zum ganzen und voHen Kant. Kant
ist so reich, dass man ihm nichts zu ge])en hat: aher man darf ihm
auch nichts nehmen, sonst macht man ihn mit Unrecht ärmer; man
verkennt die Fülle seines Geistes und den Reichthum seines Den-
kens, wenn man einseitig nur die negative oder die positive Seite
herauskehrt.

In treffender Weise hat F. Heman dies gezeigt in seinem Ar-
tikel „Paulsens Kant" (Zeitschr. f. Philos. u. phil. Kritik, Bd. 114).
Er sagt da auch unter Anderem: „Es giht im Lehen aller grossen
und tiefen Geister, die eine welthistorische Wirkung auf ihr Ge-
schlecht auszuühen herufen sind, und zu diesen gehört auch Kant,
Momente und Perioden, wo sie üher ihre eigene Natur hinausge-
hoben erscheinen ... In einer solch gehobenen Periode, erfüllt von
der Grösse und AVucht seiner Sache, hat auch Kant seine Kr. d.
r. V. geschrieben; da war er der kampffreudige Ritter, der wag-
halsig vor keinem Streich zurückschreckte und kühn und frei nach
allen Seiten Gedanken blitzen Hess, die ihm nachher bei ruhiger
Ueberlegung selbst allzuverwegen und gefährlich erschienen. Dies
Heroische in Kants Auftreten und in der Kr. d. r. V. , das ver-
missen wir in Paulsen's Darstellung; das hätte wohl in stärkere
Beleuchtung gesetzt werden dürfen. So dürfte es auch .... nicht
zutreffend sein, zu sagen, Kant nehme hie und da in der Kritik
das Ansehen des Agnostikers an. Das hat er nicht bloss , ange-
nommen', er hat sich nicht etwa zum Schein oder um einen Effect
zu erreichen, mit diesem IVIantel drapirt, sondern die Hochffut seiner
Gedanken riss ihn bis zu diesen scei)tischen Riffen fort . . . ." Ich
würde diese Ausführungen nur dahin ergänzen, dass ich die Zeit
der kritischen HochHut nicht bloss auf das Jahr 1781 beschränken
würde : ich linde, dass sie auch später öfter Aviederkehrt und dass
„die sceptischen Riffe" auch später nicht fehlen; um so mehr stimme
ich mit Heman dahin überein, dass „die scharfen Spitzen und
schroffen Kanten, welche die Kr. d. r. V. herauskehrt", in der
Wiedergabe derselben nicht übersehen werden dürfen über der un-
bestreitbar vorhandenen positiven Tendenz Kants.

8. Aber wenn das der Fall ist, ist denn dann Kant nicht ein
schwankendes Rohr, das im AVinde der Gedanken hin und her be-



150 H. Yaihinger:

wegt wird? Eine solche Bemerkung macht auch Paulsen, wenn
er S. 244 sagt: „Freilich hat die Metaphysik bei Kant etwas eigen-
thümlich Schillerndes, zwischen Wissen und Nichtwissen Schweben-
des ; jedem: es ist so, folgt ein: das heisst, es ist eigent-
lich nicht so, auf das dann ein letztes: es ist aber doch so,
kommt '\ Diese Schilderung als solche ist ganz zutrefiend: ich
würde sie nm- dahin ergänzen, däss, wie Paulsen an einer anderen
Stelle (S. 270) sich glücklich ausdi'ückt, der Verstand zu keinem
„Letzten" kommt, sondern in der Schwebe bleibt. Aber ver-
dient denn nun diese — nennen wir sie einfach diese — kritische
Schwebe nicht den schärfsten Vorwurf? Ist das denn — so rufen
Alle, welche auf Grund ihrer „festen Position'- jede, auch die
schwierigste Frage mit beneidenswerther Sicherheit sofort durch
ein — möglichst laut vorgetragenes — einfaches Ja oder Nein be-
antworten, — ist denn das überhaupt noch ein Philosoph, der so in
der Schwebe bleibt und uns zumuthet, dieses Schweben mitzumachen?
Man erlaube mir, diese Frage mit einer Gegenfrage zu erle-
digen: Ist es denn bei Platox anders? Paulsex weist mit Vor-
liebe darauf hin, dass in dem Gewebe der Kantischen Philosophie
der Piatonismus den Einschlag bilde: überall tritt uns bei Kant
(wir führten die Stelle oben S. 138 ausführlich an) „der echte
Platoniker entgegen; und wer auf diesen nicht achtet, der wii-d
auch den Kritiker nicht verstehen". Sehr lieb ist mir diese Er-
innerung an den „göttlichen Plato", wie ihn Schopexhauer im
Anschluss an die Alten mit Recht nennt: sie bietet Gelegenheit,
Kant durch Piaton und vielleicht auch Piaton dui'ch Kant zu er-
läutern. Piaton liebt es bekanntlich, die Darstellung seiner Lehren
durch poetische Schilderungen zu beleben, die er selbst als [lüd-zi
bezeichnet : von besonderer Wichtigkeit sind die Mythen im Tiniäus,
betreffend die Bildung der Welt durch den göttlichen Demiurgen,
die Mythen des Phädrus, betreffend die Präexistenz der Seele und
ihi-e freie Entscheidung in diesem Zustand, und die Mythen der
Republik, die sich auf die Unsterblichkeit der Seele beziehen. — Gott
Freiheit und Unsterblichkeit sind auch l)ei Piaton wie bei Kant die
Hauptthemata. — Man hat die Platonischen Mythen in verschiedene
Klassen einzutheilen gesucht : für uns kommen diese feineren Unter-
schiede hier nicht in Betracht. AVas uns hier interessirt, das ist
der Umstand, dass durch die Ineinanderwebung der wissenschaft-
lichen und der mythischen Darstellung*) die Avahre Meinung Pla-

*) ,Ce melange d'ombres et de lumieres" sagt CousiN" treffend in seiner



Kant — ein Metaphj-siker ? 151

tons von Anfang an streitig geworden ist , dass in Folge der Un-
möglichkeit, das wissenschaftliche und das mythische Element (koyoc,
mid ixOö-o^) reinlich zu scheiden, die Platonische Lehre ganz hetero-
gene Auffassungen gefunden hat, und dass in Folge dessen sich
vielfach das Urtheil gehildet hat, dass Piatons Ansichten
i n j e n e n entscheidenden Fragen seihst eben sc hil-
lern d u n d s c h av a n Ic e n d , j a v i e 1 f a c h wider s p r e c h e n d
seien.

Schon der Kantianer Tennemann hat dieses Schwanken Pia-
tons treftend geschildert in seinem System der piaton. Philosophie
1, 141 If. : „Ihm galt der Mythus für keine Wahrheit, sondern nur
die zu Grunde liegende Idee, die Hegel für die bildende Einbil-
dungskraft, ob er gleich zuweilen sich die IVIiene giebt, als wenn er
alles für eine ausgemachte Sache halte. Aber auch alsdann liiessen
unbemerkt Zweifel, Bedenklichkeiten ein, welche seinen ersten Glau-
ben wankend machen." Bekannt ist, dass Hegel dieses Urtheil
über Piaton theilte, ohne dass dasselbe seiner Bewunderung Piatons
Abbruch thut. In seinen „Vorlesungen über die Gesch. d. Philos."
(1833) II, 188 heisst es: „Die mythische Form der platonischen
Dialoge macht das Anziehende dieser Schriften aus, aber es ist eine
Quelle von Missverständnissen, es ist schon eines, wenn man diese
Mythen für das Vortreftiichste hält . . . Das ist nicht die wahrhafte
Weise der Darstellung ... es ist eine Ohnmacht des Gedankens . . .

der Gedanke ist noch nicht frei Die Gefahr ist unal)wend-

bar, dass man solches, Avas nur der Vorstellung angehört, nicht den
Gedanken — für etAvas Wesentliches nimmt . . . diese Mythen sind
Veranlassung gewesen, dass viele Sätze aufgeführt werden als Phi-
losopheme, die für sich gar nicht solche sind." Hegel findet dann
(S. 244 ft'.) sogar im Haupti)unkt selbst, in der Ideenlehre, eine
„ZAveideutigkeit", ol) diesell)en Wesenheiten sind oder Begriffe;
„einestheils" sei die erste Lehre bei Piaton vertreten, „anderntheils"
aber die zAveite. — Bei Ferd. Christ. Baur findet sich dieselbe
Auffassung. In der Ijckannten Schrift: „Das Christliche des Pla-

Histoire generale de la philosophie, 1870, p. 147. Chaignet, der diese Stelle
auch citirt, sagt in seiner Schrift: La vie et les ecrits de Piaton, Paris 1871,
p. 495 nicht minder treöend von Piatons Mythen: ,0n ne peut donc pas
s'etonner de l'emploi qu'en a l'ait Piaton, mais on peut lui reprocher .... de
les avoir presentes sous une forme si vague, et de les meler si intimement au
tissu de sa pensee qu'on ne sait pas plus si c'est une image ou une realite
qu'on a sous les yeux". Und Chakjxkt findet dann auch, dass Piaton wohl
selbst sich über diese Scheidung nicht i^ur detinitiven Klarheit gekommen sei.



152 H. Vaihiiiger :

tonismus" (1837) wirft er desshalb (S. 44 ff.) die Frage auf: ist der
Mythus von dem Abfall der Seelen „eigentlich zu nehmen oder un-
eigentlich?" Er kommt zu keiner dehnitiven Entscheidung, was
Piatons eigentliche Meinung sei, weil, was wir zur blossen mythischen
Form rechnen, Piaton selbst „von dem Inhalt der Idee noch nicht
völlig abzusondern vermochte", während doch an anderen Stellen
jene mythische Vorstellung bei ihm selbst „wieder zurücktritt". So
ist es auch mit dem Mythus der AVeltschöpfung, „ der mit sich selbst
in Widerstreit kommt" (72). „Der platonische AVeltschöpfer . . .
lässt sich, vom Standpunkt der platonischen Ideen aus betrachtet,
auf die blosse Bedeutung des mythischen Bildes zurückführen ; wer
mag aber entscheiden, wie weit diese Scheidung von Bild und Idee
dem Plato selbst zum klaren Bewusstsein gekommen ist?" lieber
die hiebei „sich widersprechenden" beiden Standpunkte Piatons, den
mythischen und wissenschaftlichen, spricht Baue dann weiter in den
Tübinger Theolog. Stud. u. Krit. 1837, S. 552—558. — Zeller
hat die Scheidung des x0^og und Xoyog bei Piaton mehr ins Ein-
zelne hinein zu vollziehen gesucht, er findet in der mythischen Dar-
stelhmg kein „unübersteigliches Hinderniss des Verständnisses" (Die
Philos. d. Griechen II, 1, 3. Aufl. S. 422) ; aber bei der Scheidung
der beiden Elemente ergeben sich dann doch Schwierigkeiten der
„Deutung": denn die mythische Darstellung weist doch „fast immer
auf eine Lücke der wissenschaftlichen Erkenntniss " hin (S. 484) ;
so wenn Piaton im Timäus „die Entstehung der Dinge erklären will,
die doch nach den Voraussetzungen seines Systems unmöglich ist";
dass da Zweideutigkeiten und „Widersprüche" entstehen müssen,
ist unabweisbar, wie sich dies dann besonders bei den Seelenmythen
zeigt (691 fl".); die Scheidung der „ernstlich gemeinten Bestimmungen"
von den mythischen, resp. ihr Einklang ist nirgends rein durchzu-
führen: „poetisches Spiel" und „ernstliche Meinung" gehen hier
leise in einander über, stehen sich dort schroff gegenüber. In wel-
cher maasslosen Weise Teichmüller diesen Sachverhalt zugleich
verkannt und missbraucht hat, ist bekannt. — Ich führe noch ein
Urtheil aus neuester Zeit an: Pfleiderer in seinem Werke „So-
crates und Plato" (Tübingen, Laupp 1896); man müsse sich, heisst
es da treffend (S. 623), bei der Darstellung der Platonischen Lehren
„vor scharf formulirten Entscheidungen hüten, wo unser Philosoph
selber eben keine solchen hat, sondern z w i s c h e n verschie-
denen ihm g 1 e i c h w i c h t i g e n Interessen und Nei-
gungen schwankt, indem er sich und dem Leser dies Schwe-



Kant — ein Metapliysiker ? 153

ben durch die Verschleierung im fiiessenden Bihl gesteht."- Man
vergleiche ferner ib. S. 461, 633, 668 (sowie 420, 439, 441, 454)
über dies „Schwanken und Wechseln", „Schwanken und Schweben",
„Schillern'') und Schweben" bei Plato.

Nun, was Pfleiderer so von Piaton sagt , genau dasselbe,
sogar mit denselben Ausdrücken, sagt Paulsen von Kant: beide
linden bei ihrem Philosophen ein „Schillern und Schweben", und
das gerade in den entscheidenden Punkten. In den Augen aller
derer, welche mit der Enge ihres Schulmeisterhorizontes die Philo-
sophie messen , und die Philosophen meistern , ist dies natür-
lich ein Fehler, den sie mit Behagen dreimal unterstreichen.
Wer einen weiteren Blick hat, urtheilt hierin milder, ja er findet
vielleicht, dass die Widersprüche, die sich bei beiden grossen Phi-
losophen ■ — wie auch bei andern — linden, nur das nothwendige Gegen-
stück zu dem antinomischen Charakter der Wirklichkeit selbst sind.
Ein Philosoph, der eben nur eine Seite an der Wirklichkeit ins Auge
fasst, kann bei der theoretischen Bearbeitung eben dieser einen
Seite leicht ohne AVidersprüche auskommen. Je vielseitiger aber
ein Philosoph ist — wie z. B. Piaton im Gegensatz zu Democrit
— d. h. je mehr Seiten der Wirklichkeit er in Betracht zieht, desto
weniger wird er Widersprüche vermeiden können. „Das subjective
Oscilliren wäre schliesslich nur das Gegenbild des objectiven Schil-
lerns der Sache" sagt Pfleiderer a. a. 0. 633 treffend (vgl.
auch S. 439, 441, 443. 434) ; und ähnliche Gedanken hat auch
Krohn ausgesprochen in seiner „Platonischen Frage" (S. 142 ff.) :
„Wo ist die Philosophie, die als ein System gedachter und gewollter
Ueberzeugungen noch bestehen kann , wenn man das Messer der
formalen Logik an sie setzt? Je höher sie steht, je tiefer sie gräbt,
desto zuversichtlich mehr Widerspruch in ihr". „Von Platon bis
auf Schopenhauer herab ist kein grosser Denker nach solchen
Massstäben ... zu würdigen". Trotz des Spottes Teichmüllers
(Liter. Fehden II, 168, 177) steckt in dieser Auffassung*') beach-
tenswerte Wahrheit. Ich selbst habe in meiner schon oben citirten
Abhandlung : Zu Kants Widerlegung des Idealismus (Strassb. Ab-
handl, S. 138) bemerkt, dass die Widersprüche bei Kant nicht
selilechterdings als ein Zeichen der Unvollkommenheit zu fassen
seien, sondern als ein Zeugnis der vielseitigen Gründlichkeit, mit
welcher Kant die AVirklichkeit betrachtet: „die Widersprüche bei

°) Vgl. Diog. Laert. Ill, 38: dvciaoL 5s xe/pyj-ca-. -oix'lXo-.g IlXäTtov.
") Aehnliches auch bei v. Stein*. Oosch. d. Platonismii!< I, *2o4.



154 H. Vaihinger:

Kant sind der Ausdruck des Ernstes, mit dem Kant die vorhandenen
Gegensätze erfasste und mit dem er den Fehler vermeiden wollte,
der in der einseitigen Vertretung Einer Richtung gelegen wäre ; sie
sind, da jene von ihm vereinigten historischen Richtungen Aus-
prägungen der in der Natur des Gegebenen selbst liegenden Ver-
anlassungen sind, in letzter Linie der Ausdruck der Widersprüche,
in welche das menschliche Denken überhaupt, wie es scheint, noth-
wendig geräth". Ich glaube, es war Caelyle, der einmal einem
Unterredner, der ihm einen Widerspruch nachwies, zornig entgegen-
rief: „Halten Sie mich denn für einen so flachen Kopf, dass ich mii-
niemals widersprechen dürfte?" Dies Privilegium darf auch Kant
für sich in Anspruch nehmen: das „Schillern und Schweben" bleibt
freilich ein Mangel, aber es ist ein Mangel, der tieferen Reichthum
offenbart.

9. Die Erinnerung an Piaton kann uns noch nach einer anderen
Seite hin für das Verstau dniss Kants nützlich sein. In Kants „Me-
taphysik" spielen natürlich die „Postulate der praktischen Vernunft"
eine Hauptrolle. Paulsen weist immer Avieder darauf hin, dass
Kant die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterl)lichkeit , deren theo-
retische Begründung durch den Dogmatismus er verwarf, als noth-
wendige Voraussetzungen für die Ethik wieder eingeführt hat. Na-
türlich ist auch diese Darstellung richtig ; sie kann duixh hunderte
von Stellen belegt werden. Aber an vielen dieser Stellen macht
Kant einen eigenthümlichen Vorbehalt, der in Paulsen's Darstel-
lung zurücktritt: wir müssen, sagt Kant, die Sache so betrachten,
„als ob" sie so wäre; wir müssen uns dabei der blossen „Analogie"
bewusst bleiben (vgl. z. B. Kr. d. r. V. B 594, 697—703). Gewiss
gibt es auch einige Stellen, an denen er uns seine Postulate „so
derb vor die Nase stellt", wie nur je es ein Metaphysiker that;
aber die meisten Stellen lauten doch sehr- vorsichtig und enthalten
„peinliche Verclausulirungen" , wie Paulsen selbst sagt (S. 224),
ohne, dieselben aber recht zur Geltung kommen zu lassen.

Was Kant so mit seiner beliebten Formel „als ob" einführt,
wie lebhaft erinnert es an manche der Platonischen jiöi)ot! Man
hat diese oft ungerecht verurtheilt oder ungeschickt vertheidigt : ich
erinnere nur einerseits an den Epicureer Kolotes, andererseits an den
Neuplatoniker Proklus, in dessen, durch W. Kroll so eben neu zu-
gänglich gemachtem Commentar zu Piatons Republik das Thema
sehr eingehend erörtert Avird. Dass aber die wichtigsten jener
Mythen im Interesse des praktisch-moralischen Zweckes



Kant — ein Metaphysiker ? 155

aufgestellt sind, hat man erst seit Kant so recht erkannt. Schon
der Hallesche Professor J. A. Eberhard hat in seinen „Neuen
vermischten Schriften" (Halle 1788, S. 292 tt'., 377 ff.) den Gegen-
stand für die damalige Zeit sehr verständig Ijehandelt. Er zeigt,
wie Piaton „die Lücken seiner Untersuchung mit Mythen ausfüllt",
wie aber Spätere diese Mythen als „wesentliche Theile" seiner Phi-
losophie, als „genaue Wahrheit" nehmen, während er selbst sie nur
dazu aufstellte, um dem Interesse „des praktischen Zweckes" zu
dienen. Im Besitz dieser Einsicht hätte übrigens nebenl)ei bemerkt
Eberhard bei seiner späteren Polemik gegen Kant dessen „Postu-
laten der praktischen Vernunft" mehr Verstäiidniss entgegenbringen
können. Auch Hegel (a. a. O. 188 ft. 212 ff.) deutet an, dass
Piatons Mythen praktisch-pädagogischen Zwecken dienen. Baur
(a. a. 0. 92) meint ebenfalls: die platonische Philosophie „wollte
durch die Mythen nicht blos abstracte Ideen bildlich versinnlichen,
sondern hauptsächlich für sittlich-religiöse Wahrheiten eine höhere
.... Autorität in Anspruch nehmen". Am schärfsten drückt dies
in neuerer Zeit Auffahrt aus in seiner Schrift ül)er „ Die platonische
Ideenlehre" (1883), in der er in Weiterbildung CoHEN'scher An-
regungen zu dem Resultat kommt : „ Die Unsterblichkeitsidee ist bei
Plato ein ethisches, praktisches Postulat, ein regulatives Princip,
dazu gesetzt, unser Handeln zu bestinmien, und wenn sie als solches
nicht erkannt wird, so rührt dies daher, dass sie öfters von ihrem
Zweck [eben dem praktischen Zweck] losgetrennt erscheint" (S. 112).
Also hier findet sich direct die Vergleichung des platonischen [xöD-o?
mit dem Kantischen Postulat'). Das Postulat bei Kant verlangt,
wir sollen so handeln, „als ob" jene Ideen wirklich Avären, wobei
aber nicht ausgeschlossen bleibt, dass sie wirklich sein mögen, und
dies „Mögen" verwandelt sich bei Kant an anderen Stellen in ein
„Müssen" — auch die Postulate der praktischen Vernunft zeigen
bei Kant dasselbe „Schillern" und „Schweben", wie die Ideen der
theoretischen Vernunft, und so ist der Vergleich der Kantischen



') Auch das Moment kehrt bei Beiden wieder, dass Beide gegenüber der
rücksichtslosen Zertrümmerung der alten Dogmen durch den Materialismus den
Inhalt derselben, aber in veränderter Form, festhalten. In der Vorrede zmn
Platonischen Staat macht Sculkiekmacher darauf aufmerksam, dass damit
Piaton „gegen die flache rai-sonuirende Göttervernichtung- auftrat, und so hoisst
es auch bei Ast, Pl-'s Leben und Schriften, 165, der Mythus bei PI. stehe Jm
Gegensatz zur Vernünftelei und seichten Aufklärung der Sophisten". Wie
dasselbe von Kant gilt , wurde oben S. 145 bemerkt und ist insbes. auch in
WindklüAXd's Gesch. d. n. Phil, tretfend durchgeführt.



156 H. Vaihinger:

Postulate mit den Platonisclien [lud-oi nicht ohne Weiteres abzu-
weisen. Die Platonischen [xöd-Gc ®) sprechen, wie Hegel so treÖend in
seiner Kunstsijrache sich äussert, in der „Weise des Vorstellens",
im Gegensatz zum reinen Gedanken; sie sprechen „in Gleichnissen
und Aehnlichkeiten". Diese „gleichnissweise Vorstellung" ist auch
die Art der Kantischen Postulate; auch Paulsen spricht einmal
(S. 264^ vgl. 270) von dem „symbolischen Anthropomorphismus",
den sie enthalten. Aber dieser symbolische Charakter derselben tritt
bei Paulsen dann doch weiterhin gar zu sehr zurück. Der symbolische
Charakter all dieser Ideen wird aber gerade in der neueren Theo-
logie nicht selten stark betont, speziell bei den von Kant beein-
ßussten Theologen, z. B. bei Sabatiee.

Paulsen hatte ■ — so sahen wir — Kant mit Piaton zusammen-
gestellt in der Absicht, Kants Verwandtschaft mit der früheren
Metaphysik aufzuweisen: ^-ir sollten in Kant „den echten Platoniker"
nicht übersehen, sonst würden wir auch „den Kritiker nicht ver-
stehen". AVir erkennen die Verwandtschaft Kants mit Piaton an,
aber wir meinen, man könne auch den echten Plato nicht verstehen,
wenn man den Kritiker in ihm übersieht. Gerade dies kritische
Element aber verbindet Piaton und Kant nicht minder, als das
metaphysische, ja vielleicht mehr als das Letztere^).

Das kritische Element bei Piaton zeigt sich nun aber insbe-
sondere darin, dass er einsieht, dass für die letzten und höchsten
Probleme uns nur Metaphern übrig bleiben, oder, wie Kant sagt,
Analogien. Dies Bewusstsein war eben bei Kant nicht minder stark.



^) Man verwechsle diese Auffassung der Platonischen Mj^then nicht mit der
TtiCHMüLLEE'schen. Nach TEiCHMtTLLER sind die Platonischen M.ytheu nur
für die Menge berechnete absichtliche Täuschungen. Nach der obigen Auf-
fassung sind sie aber "Votstellungsweisen, zu welchen auch der Dialektiker
nothwendig greifen muss, wenn er an die betreffenden Probleme rührt. (Vgl.
auch V. Sybel, Piatons Symposion S. 52 ff.) Eben darin liegt ihre Verwandt-
schaft mit den Ideen resp. Postulaten Kants, welche ja nothwendige Producte
der normalen menschlichen Vernunft überhaupt sind. In jener Auffassung der
Platonischen Mythen stimme ich ganz mit Auefaeth überein ; treffend bemei-kt
derselbe S. 113 : Diese ^bildlichen Vorstellungen .... sind so zu sagen Blumen,
mit denen die Einbildungskraft die Kluft überbrückt, die das Denken nicht
ausfüllen kann. Auch Plato steht unter diesem Gesetz; und wenn man ihm
das als Schwäche anrechnen wollte, nun wohl, so wäre es eine, die nicht an den
Namen Plato, sondern an den Begriff Mensch sich knüpft. Weiter kann Keiner. "

'■') üeber die Verwandtschaft Piatons mit Kant vgl. ferner noch Pelei-
deree, Socrates und Plato, S. 151, 441, 442. 444, 457 ff., f)22, 669 ; Lutoslawski,
Origin and growth of Platon's Logic, S. 340.



Kant — ein Metaphysiker ? 157

als bei Platoii. Dem Schlagwort: „Kant ein Metaphysiker" kann
man das gleichwerthige gegenüberstellen: „Kant e4n Metaphoriker".
Damit stehen Avir dann freilich bei der Kantinterpretation vor
denselben Schwierigkeiten wie bei Piaton. Thatsächlich fragt auch
Heman in dem oben citirten Artikel: was ist ans Kants Darstel-
lung des mundus intelligibilis als „ernst zu nehmen", was ist „we-
sentlicher Bestandtheil des Systems", was ist nur „Anbequemung"
und Bild? Genau dieselbe Fragestellung fanden wir bei
den oben citirten Piatoninterpreten. Gerade die neuerdings so
gewachsene Beachtung der Vorlesungen und Reflexionen Kants
fiüirt nothwendig zu dieser Fragestellung, die so auffallend erinnert
an die „Platonische Frage". So hätten wir zu den Ijisherigen Pro-
blemen der Kantinterpretation eine neue Kantfrage, welche in dieser
Form und Dringlichkeit früher nicht vorhanden w^ar. Latent war
sie wohl da, und der und jener hat sie mehr oder weniger gestreift,
aber sie ist erst jetzt, insbesondere auch durch die HEiNZE'sche Be-
arbeitung der Vorlesungen Kants über Metaphysik dringend ge-
worden. In diesen Vorlesungen, auf die sich auch Paulsen gerne be-
ruft, geht ja Kant sehr viel dogmatischer zu AVege, als in seiner
Kr. d. r. V. Die oft so kühnen Ausblicke Kants, welche Kant in
jenen Vorlesungen in den mundus intelligibilis thut, erinnern uns
aber an dasjenige, was Kant in der Kr. d. r. V. über „transcen-
dentale Hypothesen" sagt, in dem Abschnitt der IMethodenlehre :
Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen.
Da heisst es, dass dieselben nicht „im Ernste behauptet" werden,
dass es vielmehr „Privatmeinungen'- sind, welche man „zur inneren
Beruhigung'' nicht entbehren kann (und dann folgt die oben S. 146
citirte scharfe Stelle gegen deren „a])solute Gültigkeit"). Nun wohl.
Ganz so spricht Piaton über seine „eixote; [xOO-o'-", wie Kant über
seine „transcendentalen Hypothesen". Wie diese beiden Ausdrücke
sich trefflich correspondiren, so auch das über sie Gesagte: auch
Piaton l)ehauptet seine \i\)d-oi nicht „im Ernste": sie sind Tüaioiä
gesprochen, Avie es im Phädrus 265 c heisst, und der Timäus 59 d
Aviederholt, es handle sich dabei nur um r.y.'.0'J.. Und auch das
andere Kantische Alotiv der „Beruhigung gegen sich regende Skrupel"
flndet sich wörtlich bei Piaton in der bekannten Stelle des Phädon
77 e: „law; svi z'.z 7.at sv y^ixöv -ai;, öaxt; xa toiaüTsc -^o'^jzI-oi.: . . . .
ü'jKzp -ra ixopixoAuxc'.a. 'A/.Aa yßi .... sraoctv auKö. El)enso ib.
114 d. Dies eTzaosiv xo) r.x'.oi — die „Beschwörungen für das Kind
in uns'-, wie Schleiermacher's berühmte Stelle lautet — Pflei-



158 H. Vaihinger: Kant — ein Metaphysiker ?

DERER a. a. O. 422 übersetzt es richtig und genau mit dem Kan-
tisclien Worte : „Beruhigung". So hellen sich auch hier Piaton und
Kant gegenseitig auf.

10. Hiermit schliessen wir unsere Bemerkungen zu Paulsen's
Kantbuch, welche freilich zuletzt aus Mangel an Raum und Zeit
ins Aphoristische übergehen mussten. Es bietet sich wohl in den
letzten Theilen meines Kantcommentars Gelegenheit, um insbeson-
dere das, was über Kants Postulate nur andeutungsweise gesagt
werden konnte, weiter auszuführen ; vielleicht nimmt auch irgend ein
anderer Forscher Veranlassung, den Gegenstand in der einge-
schlagenen Richtung weiter zu verfolgen. Man wird immer wieder
zu dem Resultat gelangen, dass in Kant wohl, um mit Paulsen zu
sprechen, ein Metaphysiker steckt, aber ein Metaphysiker ganz ei-
gener Art: es ist eine kritische Metaphysik, bei der nicht nur, wie
Paulsen meint, die Art der Begründung eine andere ist, als bei
den alten Dogmatikern, sondern auch die Art des Begründeten
selbst. Paulsen meint, nur die Form sei geändert, der Inhalt sei
derselbe. Aber die formelle Aenderung, welche Kant an den alten
Lehren der Dogmatiker vorgenommen hat, ist eine so tiefgreifende,
dass auch der Inhalt nicht derselbe geblieben ist: der ontologische
Charakter derselben ist geändert, nicht bloss, wie Paulsen meint,
ihr logischer AVerth. Ob man darnach Kant noch einen Metaphysiker
nennen mag, hängt davon ab, wie man Metaphysik definirt. So könnte
die Controverse als ein blosser AVortstreit erscheinen. Lassen wir
Paulsen das Wort — zumal es Kant selbst von seiner Philosophie
gelegentlich gebraucht. Aber bleiben wir um so fester in der Sache.
Ich kann diese Bemerkungen aber nicht schliessen, ohne zu
wiederholen, was ich schon in meiner Recension des PAULSEN'schen
Kantbuches in der JMainummer 1899 der „Philosophical Review" ge-
sagt habe — unbeschadet der Bedenken, welche ich gegen den Haupt-
punkt der PAULSEN'schen Darstellung Kants äussern zu müssen
glaubte, darf ich wol gestehen, dass ich der Leetüre des auch stilistisch
ausgezeichneten Werkes ebenso viel Genuss als Anregung verdanke.
Das Buch, neben aller — nicht selten zu weit gehenden — Kritik
Kants mit wohlthuender Wärme für Kant geschrieben, wird dem
Königsberger Weisen viele neue Verehrer zuführen. Aber nicht
bloss ihm. Auch sein Verfasser selbst wird, wie sein Buch die
Geister erregt, auch neue Herzen sich erobern : denn das Buch hat,
was so vielen historischen Darstellungen fehlt : es hat Charakter und
es bekennt Farbe.


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